Unsupported Ultracycling durch Marokko
Atlas Mountain Race 2025
Dieses anspruchsvolle Mountainbike-Rennen Anfang Feburar durch Marokkos Steinwüsten provoziert 1.000 Fehler. Es toleriert: keinen. Ein fundamentaler Fehler, eine falsche Entscheidung, und du bist raus. Distanz und Höhenmeter, aggressiver Wüstenstaub, der Nase und Lunge reizt, nicht enden wollende Schiebepassagen, die Winterkälte in den langen Nächten, Zeitdruck und daraus folgender akuter Schlafmangel, grenzwertige hygienische Bedingungen und ständiger Kalorienmangel summieren sich Stunde um Stunde zu einer Prüfung, an der jedes Jahr rund die Hälfte aller Teilnehmer scheitert - trotz akribischer meist monatelanger Vorbereitung.
Auch ich: Nach knapp 600 Kilometern versagten meine Nackenmuskeln. Ich konnte den Kopf nicht mehr halten und weiß nun, was ein "Shermer's Neck" ist: mein fundamentaler Fehler. Wahrscheinlich ein Bikefitting-Mangel. Vermutlich wäre ich aber sowieso ausgefallen - denn zeitgleich wurde ich krank. Wahrscheinlich die Seuche aus der Münchner Grippesaison mit nach Marokko geschleppt und unter Extrembedingungen ausgebrütet. Ach ja, die Hunde! Eine schmerzhafte Grenzerfahrung, eine harte Lektion, und dennoch: ein unvergleichlich intensives Erlebnis. I'll be back.
The Mountain Races und das Atlas Mountain Race in Marokko
Das Atlas Mountain Race ist ein unsupported Ultracycling-Event unter Extrembedingungen. Mit Start in Marrakesch führt es über 1.300 Kilometer und 23.000 Höhenmeter bei Minusgraden in der Nacht über den schneebedeckten Telouet-Pass im Hohen Atlas, durch die Steinwüsten Marokkos, über den Anti-Atlas und vorbei an Agadir bis an die Atlantikküste in Essaouria. Spektakuläre Wüstenlandschaften, etliche Schiebepassagen ("bike & hike"), fahrtechnisch anspruchsvolle Abschnitte, lange Etappen ohne jede Verpflegungsmöglichkeit und extreme Temperaturunterschiede zwischen den kalten Winternächten und den Sonnentagen der nördlichen Sahara verleihen dem Rennen seinen unvergleichlichen Charakter. Es handelt sich nicht um ein Gravelrennen - auch wenn einige Teilnehmer es auf einem Gravelbike gefinisht haben (sogar Fixed Gear Bikes und einem Tandem). Das AMR ist definitiv ein Mountainbike-Rennen. Idealerweise wählt man ein Race-Fully oder ein Race-Hardtail - sollte aber nicht versäumen, für ein Endurance-taugliches Fitting zu sorgen. Eine Federgabel mit 100-120 mm Federweg ist mittlerweile der Ideal-Standard unter den Teilnehmer-Rädern. bikepacking.com hat die Räder des AMR gelistet - und noch einige spannende Beiträge mehr.
Der Brite Alex McCormack gewann 2025 in einer Zeit von 3d20h, die Deutsche Marei Moldenhauer stellte mit 4d14h einen neuen Rekord auf und finishte auf Platz 7 als erste Frau überhaupt in den Top 10 der Gesamtwertung. Nach rund 8,5 Tagen endet die Zeitnahme. Nur etwa die Hälfte der rund 300 Solostarter und 30 Pairs erreichen das Finish innerhalb der offiziellen Zeitnahme.
Gegründet wurde das AMR 2021 vom Briten Nelson Trees, der die Idee auf einer halbjährigen Bikepacking-Tour von China nach Europa entwickelte. Es gehört zu einer Serie von mittlerweile drei Mountain Races, ein viertes, das Taurus Mountain Race, ist für Herbst 2026 in der Türkei geplant.
Eine gute Übersicht der wichtigsten Ereignisse und Fakten rund um das Atlas Mountain Race 2025
bietet die Aufzeichnung bei Dotwatcher
Wer teilnehmen möchte, bewirbt sich auf der Website um einen Startplatz und muss eine Reihe von Fragen beantworten, die die Ernsthaftigkeit und die Gefahren des AMR verdeutlichen. Eine Anmeldung ohne Bewerbung ist nicht möglich. Zudem ist ein ärztlicher Nachweis der körperlichen Tauglichkeit erforderlich. Der Start ist Solo oder als Zweierteam möglich. Die Startgebühren lagen 2025 bei 375 britischen Pfund.

Was ist Unsupported Ultracycling – Noch Radsport oder doch schon eher Survival?
Es ist dieses brachiale Gefühl von Ausgesetztheit, unter extrem anspruchsvollen Bedingungen komplett auf sich selbst gestellt zu sein. Die Faszination des Ultracycling liegt in der Grenzerfahrung: Es geht darum, herauszufinden, wie viel Belastung du bewältigen kannst und dabei deine körperlichen und mentalen Grenzen zu testen. Diese sehr besondere Variante des Radsports lebt vom wilden Freiheitsgefühl und einem unvergleichlich intensiven Gefühl von Lebendigkeit. Das gibt es nur in ursprünglicher Natur, in den Bergen, auf dem Meer, im Urwald, auf Reisen. Kein gewöhnlicher Tourist wird es jemals spüren.
Ich habe mir ausführlich Gedanken rund ums Unsupported Ultracycling gemacht (in Unterscheidungen zu anderen Herausforderungen und Wettbewerben im Radsport).

Überhaupt bis zur Startlinie zu kommen: auch schon eine Leistung
Die Startlinie in Marrakesch ist nicht der Beginn des Rennens. Sondern eher so etwas wie das Basislager auf einer Achttausender-Expedition: Die Unternehmung hat in Wirklichkeit schon Monate vorher begonnen. Es ist bereits eine Leistung, mit dem fertig aufgebauten Bike rechtzeitig und ohne krank geworden zu sein an der Startlinie zu stehen.
Meine Wochen und Monate vor dem Startschuss bieten jedenfalls derart viel zu erzählen - unmöglich, das alles hier auf einer einzigen Seite untereinander festzuhalten. Ich habe die Monate vor dem Rennen deshalb in ein paar thematische Abschnitte unterteilt:
- Startplatzbewerbung
- Ärztliches Attest
- Mit dem Fahrrad ins Flugzeug
- Gabelflug und die Angst vor Gepäckverlust
- Air Tags sind besser als nichts - aber auch nicht das Gelbe vom Ei
- Influenzaviren und andere Infektionskrankheiten der Wintersaison
- Es geht los: Rennvorbereitung und Wintertraining
- Wie trainiert man für ein Ultracycling-Event?
- Winter ist die mieseste Zeit für den Formaufbau
- Zu wenige Testkilometer auf dem Racebike - das würde sich bitter rächen
Das Rad und sein Aufbau wird zudem ebenfalls ein eigenes Stück bekommen.
Über die Technik gibt's nämlich nochmals so viel zu erzählen. Ergänzen will ich auch noch was zur Routenplanung und zur Navigation.
Und hier die Konzeptfragmente für noch fehlende Textabschnitte:
- Das Rennen: Erlebnisbericht bis zum Ausfall an Checkpoint 2. Wasser. Essen. Schlafen. Packing. Das Nackenversagen. Die Infektion. Krank auf dem Bike ist ganz ganz mies. Nach nicht ganz 600 Kilometern war Schluss für mich.
- Ausrüstung: Das Bike mit allen technischen Aspekten, nun praxiserprobt. Bekleidung und Packing. Schuhe: "Du wirst laufen müssen". Temperaturen: Es wird sehr kalt in der Nacht und tagsüber nicht ganz so warm wie gedacht (Nelson Trees: "This year it will be a really cold race"). It was.
- Navigation: Bei so einer großen Unternehmung möchtest du auf gar keinen Fall mitten im Nichts stehen, dein Radcomputer ist ausgefallen, weil die Datenmenge zu groß ist, und das Ding stürzt jetzt einfach nur ab. Verweigert den Dienst. Weil dein iPhone zwar eine Alternative sein könnte beim Navigieren, die Powerbank aber einfach nicht genug Kapa hat, um das iPhone auch häufig genug nachzuladen. Weil ein iPhone nicht das richtige Gerät ist für volle Sonne in Sahara-Nähe und das krasse Gerüttel eines Mountainbike-Kurses. Weil du dachtest, du hättest alle Karten auch offline am Start, stimmt aber gar nicht. Weil du zwar für lebenslange Kartendaten weltweit abezahlt hast - "weltweit" aber sehr relativ wird, wenn du feststellst, dass dein komoot für Marokko gar keine Kartengrundlage anbietet zum Offline-Download. Wenn du zwar extra einen einwöchigen Datenpass für Marokko gekauft hast aber leider kein Netz vor Ort. Wenn der Veranstalter auf ein Planungstool setzt, das du nicht kanntest und auch noch nicht sicher bedienen kannst. Wenn du dich fragst, ob es eine gute Idee ist, in so einem Rennen auf irgendwelche Lösungen zu setzen, die du nicht in- und auswendig kennst und virtuos beherrschst. Überhaupt: Wie teilt man sich 1.300 irre Offroad-Kilometer richtig ein? Welche Durchschnittgeschwindigkeit ist realistisch, wenn klar ist, dass es zahlreiche Gehpassagen geben wird? Wie teilst du dir Etappen richtig ein und bereitest sie für beste Verlässlichkeit im harten Einsatz auf? Und was ist in den langen Nächten: Lasse ich da die Display-Beleuchtung des Radcomputers eingeschaltet - oder schalte ich die ganz aus, um Strom zu sparen und beleuchte mein Navi lieber mit der Stirnlampe, die ich ja sowieso brauche? No kidding: Navigation und die richtige Planung vorab ist ein Kapitel für sich. Die Rennhistorie zeigt etliche Querschläger die (absichtlich oder unbeabsichtigt) so weit von der fixen Route abgewichen sind, dass sie aufgeben mussten.
- Experience: Was ich an Erfahrung aus dem AMR teilen kann. Hygiene, Wasser, Nahrungsmittel. Was du tun solltest - und was besser nicht. Du hast Angst vor Hunden? Auch beim AMR kann es vorkommen, dass du von wütenden Kläffern verfolgt wirst. Nichts für schwache Nerven. Aber etwas, womit man umgehen lernen kann. Ich hatte auch meine Begegnungen. Bereits geschwächt. In der Nacht. Aber ich wusste, dass es passieren könnte. Als Frau? Nochmal ganz eigene Themen. Das Landesinnere ist anders als die Städte. Frauen werden häufig nicht respektiert. Ich ziehe den Hut vor allen Frauen, die solo dabei waren. Nicht nur unerschrocken, sondern auch unfassbar stark.