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Bikepacking-Runde Tuscany Trail

Himmlische Toskana mit Hindernissen

Der 465 Kilometer lange Tuscany Trail (Strecke von 2024) ist ein Gravelrundkurs einmal rund um die Toskana - auf den "Strade Bianche", den weißen Schotterpisten der Region und teilweise identisch mit der Eroica. Zwei Fehler solltest du auf dieser Rundfahrt vermeiden: Mach sie nicht alleine. Es ist viel schöner, dieses grandiose Stück Italien zu zweit oder mit Freunden zu erleben. Und: Fahr es nicht als Rennen. Es ist kein Rennen, es gibt keine Wertung. Die Städte auf der Route sind viel zu schön, um atemlos durchzuhetzen. Natürlich habe ich beides falsch gemacht.

Tuscany Trail, Toskana, Gravel, Italy

Diesen Rundkurs wollte ich immer schon mal fahren. Die "Strade Bianche" ist nicht nur ein legendäres Eintagesrennen, der Name steht auch für die Schotterpisten der Region. Das Kalkgestein lässt sie in der Sonne blendend weiß erscheinen, und seit jeher werden auf  ihnen Radrennen ausgetragen. Auch die "Eroica" erinnert an die italienische Radsport-Tradition auf den Strade Bianche, sie wird mit historischen Rennrädern gefahren und in Originalbekleidung aus den 1960er, 70er oder 80er Jahren.


Ob das allerdings so ein Spaß ist, bezweifle ich ein wenig, denn wer mit den Übersetzungen aus den 60er oder 70 Jahren die teilweise doch sehr knackigen Anstiege der Toskana hochtritt, bekommt nicht nur schnell einen schmerzhaften Gruß von den Kniegelenken, die Abfahrten fahren sich auch wesentlich entspannter mit ordentlichen Bremsen, bei denen sich auch bei Nässe sofort etwas tut - und nicht erst 300 Meter später nach dem Bremspunkt. Irre, womit die damals Rennen gefahren sind! Von den dünnen Schlauchreifen gar nicht zu sprechen - alleine die Vorstellung, sowas mehrmals flicken zu müssen, ließ mich bislang einen großen Bogen um die Eroica machen.


Im Frühling lockt die Toskana bereits mit sommerlichen Temperaturen, und Anfang, Mitte Mai kannst du normalerweise auch ohne zusätzlich Ausrüstung mitnehmen zu müssen ohne weiteres im Freien übernachten. Wer klug ist, plant aber gar nicht erst mit Biwak im Freien, sondern sucht sich schöne Pensionen und Guesthouses entlang der Route - ausgiebige kulinarische Freuden fest eingeplant. Und damit dürfte auch klar sein: Der Tuscany Trail ist kein Rennen, sondern eine Genussrundfahrt, und am besten macht man sie mit Freunden oder Partnerin.


Natürlich habe ich den Fehler gemacht, den Tuscany Trail wie ein Gravelrennen zu fahren. Letzten Endes war es Blödsinn, am ersten Tag 272 Kilometer am Stück runterzuballern und dann in der Dunkelheit nach 22 Uhr am vorreservierten Hotel einzutreffen, nur um feststellen zu müssen, dass die Rezeption nicht mehr besetzt war. Dass die digitale Einlassautomatik gut gemeint aber italienischer Softwareschrott war, kostete mich eine geschlagene Stunde. Nach 272 Gravel-Kilometern! Ich hatte über booking.com vorreserviert und längst online alle Personendaten angegeben. Hat den Computer aber nicht interessiert: Meine Buchung war zwar hinterlegt, trotzdem musste ich nun noch einmal alle Daten von Hand eingeben.


Meinen Ausweis scannen. Vorder- und Rückseite (nicht einfach rauszufinden, wo die verdammte Kamera dafür war - versteckt an der Rückseite des Screens!). Statt Zimmernummer und Zugangscode nach fertiger Anmeldung einmal am Screen anzuzeigen (was mir die Chance gegeben hätte, davon schnell ein Foto mit dem iPhone zu machen) verkündete der Automat stolz, die Zugangsdaten seien mir per SMS und Mail zugegangen. Natürlich kam gar nichts an, aus welchen Gründen auch immer. Mobilnummer falsch eingegeben? Ich also den gesamten Prozess dreimal wiederholt. Dreimal Kurtaxe separat zu entrichten, dreimal wurden mir 1,50 Euro von der Kreditkarte abgebucht. Nichts. Schließlich versuchte ich ein Zimmer komplett neu zu buchen. Ging nicht, verweigert. Noch nie hat mich eine Software derart jämmerlich im Stich gelassen.


Ich habe dann notgedrungen und mit einer gewissen Verzweiflung doch draußen übernachtet (es war alles geschlossen im Ort und weit und breit nicht mal mehr ein Restaurant offen). Um genau zu sein, habe ich auf dem blechernen Flachdach des Hotels im ersten Stock in den Radklamotten und im Biwaksack gedöst, bis es hell wurde. Das war zwar halbwegs entspannend aber eben nicht so erholsam wie ein Bett. Über Nacht fiel Nebel, alles wurde klamm, ich drückte mich enger an die Wand unter dem Dachsims.


Am nächsten Morgen bin ich dann mit leerem Magen und ordentlich Frust im Bauch weitergefahren. Natürlich weigerte sich das Hotel-Management, mir den Betrag für den missratenen Late-Checkin zu erstatten. Das 1000miglia Hotel in Monteroni dʼArbia werde ich jedenfalls nicht so schnell vergessen. War eh keine gute Wahl, der seelenlose Baumarkt-Parkplatz im Gewerbegebiet an der Hauptstraße war nicht, was man sich unter romantischer Toskana vorstellt (Die Fotos auf booking.com sind übrigens schlicht irreführend). Aber eigentlich wollte ich mich ja gar nicht aufregen. Sondern von einer großartigen Radtour erzählen. Also nochmal ganz von vorn.


Mit der Familie waren wir für ein paar Tage nach Elba gefahren: Elba liegt nicht weit weg vom Startpunkt des Tuscany Trail entfernt im Meer. Der Start des Tuscany Trail ist in einem Park in Donoratico, direkt an der Küste. Zur Fähre nach Piombino sind es nur knappe 35 Kilometer, also ideale Orga und Win Win für alle: Während die Familie es sich im netten Ferienhäuschen am Strand auf Elba gemütlich machte, nahm Papi sein fertig bepacktes Gravelbike und die Fähre zurück ans Festland.


Leider hatte ich auch am Startort Donoratico kein glückliches Händchen mit der Hotelwahl: Die Betreiberin war am Rande zur Grantigkeit unhöflich (Gäste betrachtet sie anscheindend als notwendiges Übel und scheint Radfahrer prinzipiell zu hassen). Jedenfalls war sie absolut nicht zu überreden, dass ich mein fertig gepacktes (und noch sehr sauberes!) Rad mit aufs Zimmer nehmen durfte. Ich musste es im Hinterhof (unverschlossen, natürlich) mit diversen anderen Teilnehmer-Räder abstellen. Das Hotelzimmer hatte dann den Charme eines Klinik-OP, alles gefliest und entsetzlich steril. Vermutlich leidet die Besitzerin an Waschzwang, in jedem Fall aber an einem, ähm, sehr eigenen Designverständnis. Also Vorsicht bei der Hotelwahl (was bei über 4.000 Teilnehmern gar nicht so einfach ist in so einem kleinen Ort wie Donoratico, in dem es kaum Unterkünfte gibt)! Oder doch lieber gleich das Zelt mitnehmen oder den Bus und auf dem Parkplatz beim Start pennen.

Nach angemessen ewigem Anstehen zur Abholung der Startunterlagen am Vorabend (das Team war einfach noch nicht fertig mit den Vorbereitungen)kam Morgen des Starts direkt eine Überraschung: Es gab gar keinen offiziellen Start. Keinen Startschuss, kein gemeinsames Zinnober, keine gestartete Uhr, nichts. Zwar war die Startzeit mit sechs Uhr festgelegt, aber als ich am Startbogen eintraf, schlichen mir lediglich ein paar verschlafene Teilnehmer entgegen, die auf dem Parkplatz vor dem Park in ihren Autos campiert hatten und sich nun gerade fertig machten. Schulterzuckend startete ich meinen Radcomputer, lud die Route und los gings, raus aus Donoratico in Richtung Castagneto Carducci.


Die Strecke selbst ist über jeden Zweifel erhaben, die Landschaft wundervoll, das Klima im Mai ideal, das Licht vor allem bei Sonnenaufgang episch. Pech bei der Hotelwahl, Glück mit den Bedingungen - auch in Ordnung! Über Castagneto Carducci ging es an der Küste entlang nach Puntone di Scarlino und von da landeinwärts und weitgehend flach bis Paganico. Ohnehin verlangt der Tuscany Trail mit rund 5.900 Höhenmetern auf 465 Kilometer im Vergleich zu anderen Graveltouren nicht allzu ausufernde Kletterei - trotzdem sind ein paar Anstiege dabei, die nicht zu unterschätzen sind. Man merkt aber, dass der Tuscany Trail nicht zu schwer sein soll, sondern vor allem schön. Es geht aber nach dem flachen Einstieg an der Küste immer rauf und runter, das summiert sich auch. Montalcino und Pienza sind die ersten Städchen, in denen es sich zu verweilen lohnt. Ich jedoch holte mir lediglich ein paar Sandwiches am nächstbesten Cafe und fuhr weiter - insgesamt wie schon erwähnt 272 Kilometer am ersten Tag bis Monteroni d'Arbia, hin zur Episode mit dem verschlossenen Hotel und der preisgekrönten User Experience.


Am zweiten Tag wurde die Strecke richtig wundervoll. Wäre ich nicht leicht zerstört gewesen durch die verunglückte Nacht auf dem Blechdach, wäre es noch schöner gewesen. Auch Siena ist eine jener Städte, für die du dir unbedingt etwas mehr Zeit nehmen solltest. Ich fuhr am gleichen Tag bis nach Volterra, mit knapp 100 Kilometern wurde das eine eher kurze Etappe, gemessen am ersten Tag. Nach Volterra führte ein längerer Anstieg hinauf, es war Nachmittag und ziemlich heiß. Nach der verunglückten Nacht beschloss ich, es nun locker zu nehmen und entdeckte beim Blick auf die Stadtkarte das Bed & Breakfast "La Primavera". Super! Vielleicht hatten die ja ein Zimmer!


Nach den Erfahrungen der vergangenen Tage war ich vorsichtig geworden - doch dieses Mal wurde ich positiv überrascht. Das Bed & Breakfast war familiär, wundervoll von außen und von innen. Die Wirtin war sehr freundlich, mein Rad durfte ich im Gartenschuppen einschließen. Sie sammelte porzellanene Teekannen und vermietete mir ein allerliebstes Zimmer in Mintgrün. Ich beschloss den Tour-Tag mit einem Essen auf einer Sonnenterrasse, blinzelte in die untergehende Sonne, bewunderte das antike römische Theater unter mir, genoss ein kühles Biererchen und ging zurück zum Bed & Breakfast. Selten habe ich nach einer Dusche so gut geschlafen wie im "La Primavera"! Wer nach Volterra kommt: Miete dich dort ein, es ist eine wundervolle Insel der Behaglichkeit.


Am nächsten Morgen ging's erfrischt an die Abfahrt vom Hügel, auf dem Volterra liegt - und bereits an den letzten Abschnitt des Tuscany Trail. Es kamen dann noch ein paar fahrtechnisch etwas grobere Abschnitte - aber nichts, was einem den Stecker ziehen würde. Gegen Ende wurde es dann wieder flach und ich hab nochmal ein bisschen Gas gegeben. Im Ziel habe ich dann auf meiner Strava-Aufzeichnung gesehen, dass auf dem Segment der letzten 30 Kilometern vor dem Ziel nur sechs andere Fahrer schneller waren als ich. Von über 4.000. Wie gesagt, der Tuscany Trail ist kein Rennen. Selber schuld - hat aber Spaß gemacht.


Im Ziel erwartete mich auch etwas, was ich bereits von anderen unsupported Gravel-Bikepackings kenne: Kein Mensch interessiert sich für Dich. Du hast gerade eine großartige Tour auf dem Rad beendet, hast etwas geleistet, und es gibt nichts. Im Ziel sitzen ein paar Leute vom Orga-Team und starren gelangweilt in ihre Smartphones. Kein Kopfnicken, keine Erinnerung, nichts. Nirgends als in einem einsamen Zielbereich wird dir klarer: Solche Ausfahrten machst du nur für dich. Und wenn du so doof warst, sie nicht mit guten Freunden zu machen, dann ist es sehr einsam im Ziel. Beinahe ein bisschen traurig.


Da ich viel schneller war als die meisten Teilnehmer (meistens ist es genau umgekehrt, da bin ich derjenige, der nach allen anderen eintrudelt), war im Zielbereich so gut wie nichts los. Auch von den wilden Geschichten habe ich nichts mitbekommen, in denen Horden hungriger Radler wie die Heuschrecken die Sandwiches, Colavorräte und Cafes entlang der Route plündern und für die Langsameren nichts übrig lassen als ein paar Krümel in den leergefegten Regalen. Ich bin dann noch ein Weilchen im Zielbereich rumgesessen, hab ein bisschen was gegessen und mich schließlich wieder aufgemacht und bin die 35 Kilometer zur Fähre in Piombino geradelt. Noch am gleichen Nachmittag saß ich wieder glücklich bei der Familie auf Elba und erzählte von meinen Erlebnissen mit italienischen Hotelcomputern.


Ob ich den Tuscany Trail empfehlen kann? Unbedingt! Landschaft und Städte sind fantastisch, die Strecke großartig. Aber fahrt nicht alleine. Sucht Euch eine lustigen Gruppe zusammen, wählt die Unterkünfte sorgfältig aus. Und lasst Raum für den Wein. Ach ja, der Wein! Die Toskana ist ein Landstrich für Genießer. Und nicht für Asketen...

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