Fotos: Hartmut Ulrich
Der Perito-Merino-Gletscher ist ohne Zweifel eine der Top-Attraktionen Patagoniens. Kein Gletscher der Welt ist so mühe- und gefahrlos erreichbar wie diese rund 60 Kilometer riesige zerklüftete Eisfläche. Ganz Buenos Aires fände in dem Eisfeld Platz.
Von Calafate aus fahren wir mit dem Bus eine Stunde dorthin und stehen mit Dutzenden von Schaulustigen auf einer Plattform, von der man aus sicherer Entfernung einen atemberaubenden Blick auf den Gletscherabbruch hat. Seine geografische Lage führt dazu, dass er sich im Vergleich zu anderen ähnlich großen Gletschern sehr rasch bewegt – pro Tag schieben sich die Eismassen etwa einen Meter talwärts. Man muss nur etwa eine halbe Stunde Geduld mitbringen, um dabei zuzusehen, wie mehrere hundert Tonnen schwere Eiskolosse aus der über 60 Meter hohen Abbruchkante brechen und unter infernalischem Getöse in den Lago Argentino stürzen.
Die Gletscher des südlichen Eisfelds, das sich über den gesamten Andenkamm erstreckt, gehören zu den wenigen weltweit, die trotz des Klimawandels noch wachsen. Über 8.000 Millimeter Niederschläge fallen hier im Jahr, das als verregnet geltende Hamburg zum Vergleich bringt es nicht mal auf 700 Millimeter. So kommt immer genügend Neuschnee hinzu, der sich im Lauf der Jahrhunderte zu Eis verdichtet, das dann unter dem Druck des eigenen Gewichts schmilzt. So gleitet der Gletscher auf seiner eigenen Wasserschicht talwärts.
Wir umfahren den Perito Merino mit einem kleinen Schlauchboot und legen an seiner rechten Flanke wieder an. Dort leihen wir uns Steigeisen aus, um einen Ausflug auf den Eisriesen zu unternehmen. Im Sommer ist das gefahrlos, weil Gletscherspalten nicht von Neuschnee bedeckt und damit gut zu sehen sind. Trotzdem müssen wir aufpassen: Aus den 20 oder mehr Meter tiefen Spalten führt kein Weg zurück.
Für das Labyrinth durch die geborstenen Eistürme braucht es ohnehin einen kundigen Guide, der uns nebenbei auch noch eine Menge erzählt über die kleinen Organismen, die hier im Eis leben, die reine Luft, die mehrere Jahrhunderte im Eis eingeschlossen war und die das Schmelzwasser nun freigibt. Eine eigentümliche Erfahrung, Luft zu atmen aus einer Zeit, in der es weder Industrie noch Autoabgase gab. Das Schmelzwasser der sommerlichen Hitze bildet tiefblaue Kavernen und schießt durch schmale Rinnen tiefer und tiefer, bis es auf die felsige Gletscherbasis trifft und sich von dort einen Weg bis zum See bahnt. Wo wir gerade stehen, ist das Eis etwa 300 Meter dick.
Der Weg ist ohnehin schon mühsam und wird schnell immer steiler. Hier ist nur noch mit solider Eiskletterei ein Weiterkommen. Doch wir haben genug gesehen und drehen um.