Fotos: Hartmut Ulrich
Puerto Natales liegt auf der chilenischen Seite Patagoniens an einem Meeresarm umgeben von Fjorden und Gletschern und ist ein kleiner Fischerort am „Seno ultima Esperanza“, am „Meeresarm der letzten Hoffnung“. Wo früher nur Schafzüchter anzutreffen waren, hat sich längst eine auf Tourismus fokussierte Stadt entwickelt, die zwar nicht mehr ganz so ursprünglich ist – uns Trekkingreisenden aber eine Menge nützlicher Annehmlichkeiten zu bieten hat. Unter anderem können wir uns hier mit fehlenden Ausrüstungsteilen (Gaskartuschen!) und Verpflegung für den geplanten Abstecher in den rund 100 Kilometer entfernten Parque National Torres del Paine eindecken.
Es muss an einer nicht ganz ergründbaren Verflechtung lokaler Interessen liegen, dass es nicht möglich ist, von Argentinien über die Grenze nach Chile kommend, den direkten Weg zum Nationalpark zu nehmen: Zuerst musst du diesen absurden Umweg machen, es sei denn, man ist Argentinier oder Chilene und weiß das „Verbot“ mit ein paar diskreten Scheinchen an der Grenze zu lösen. Aber was sind schon 100 Kilometer Umweg in diesem gewaltigen Land!
Von den Ufern des Lago Pehoe ragt der mächtige, 2.730 Meter hohe Gebirgsstock des Cerro Paine Grande auf sowie die schwarzen Schieferkappen der Cuernos del Paine. Die Menschen der Pampas erzählen, dass hier die Luft der Welt entsteht. Vielleicht gerade in der Nähe der Torres gäbe es einen gewaltigen Schlund, aus dem die Luft der Welt kraftvoll austritt, und je näher man der Quelle kommt, desto stärker wird der Wind.
Es ist eine der zauberhaftesten Regionen der Erde, auch wenn sie ihren Liebhabern eine gewisse Dosis an Stoizismus abverlangt: Wir treffen an einem geradezu lieblichen Tag ein, bekommen jedoch bald den unablässigen Wind und die Wechselhaftigkeit des Wetters am eigenen Leib zu spüren. Heilfroh sind wir über unsere sturmerprobte gute Ausrüstung und das starke Tunnelzelt, das den Sturmböen tapfer standhält, die in der Nacht von den Bergen herabjagen und wütend an den Zeltwänden zerren.
Wir beginnen beim „Campamento Torres“ und umwandern das „W“, eine fünftägige anspruchsvolle Trekkingtour, anfangs bei gutem Wetter, das dann – hey, es ist Sommer! - von Tag zu Tag rauher wird. Rund 20 Kilometer legen wir im Schnitt pro Tag zurück, und wo wir das Zelt nicht stehen lassen können, schleppen wir die ganze Ausrüstung ins nächste Camp. Allein meine Kameraausrüstung wiegt sieben Kilo – eine Tatsache, die ich nach heutigem Stand von Kameratechnik und Erfahrungen mit Leichtgepäck beim Trekking weder hinnehmen noch so planen würde. Aber solche Trips sind „once in a lifetime“, also hast du mitgenommen, was nach damaligem Stand deines Wissens und der Technik das Beste war, was du kriegen und dir leisten konntest.
Am „Campamento Britannico“ finden wir einen unebenen Platz unter Baumwurzeln, lassen uns von einem schlecht gelaunten Ranger anschnauzen, der nur Spanisch spricht und hören in der Nacht durch den Wind in den Bäumen das Donnern der Eisblöcke, die aus dem nahegelegenen Eisfeld in die Tiefe stürzen. Es ist abenteuerlich – und hart.
Der Lago Grey hat seinen Namen vom zerriebenen Gestein der Gletschermoränen, deren Türkistöne einen eigentümlichen Kontrast bilden zum windgepeitschten Grau des Seewassers. Als wir am Steilufer des Lago Grey entlangwandern, ist der Wind so stark, dass es uns trotz der schweren Ausrüstung vom Pfad zu wehen droht. Vollkommen unmöglich, die Kamera selbst eine einzige Sekunde ruhig zu halten in diesen Böen. Über uns die mit frischem Eis überzogenen Spitzen der Felstürme, die aussehen wie der Palast der Schneekönigin. Dies ist bei weitem der anstrengendste Teil unseres Patagonien-Ausflugs – aber auch der beeindruckendste.
Später besuchen wir noch per Boot ein paar Magellan-Pinguine, die zwar nicht direkt zu den Torres del Paine gehören aber in nicht allzu weiter Entfernung draußen vor Puerto Natales auf einigen sehr verlassenen Eilanden herumlungern. Sieht man einmal davon ab, dass sie gelegentlich Besuch von neugierigen Touristen bekommen und dann mindestens so neugierig sind wie die Touristen. Die Laute, die Pinguine so vin sich geben, passen jedenfalls ziemlich gut zu den trostlosen Gegenden, die sie bevorzugen, wobei ich mir nicht anmaße, das Lebensgefühl eines Pinguins auch nur näherungsweise empfinden zu können.
Wir sind dann aber mal wieder weiter.