Gravelrennen rund um Girona
Das TRAKA genießt einen herausragenden Ruf unter den Gravelrennen auf europäischem Boden. Ausgehend vom Radsport-Epizentrum Girona, führt es wahlweise über 100, 200, 360 oder 560 Kilometer über wilde Trails und Schotterpisten im Rundkurs durch die wundervollen Landschaften Kataloniens. Wegen der starken Regefälle war das 360er TRAKA dieses Jahr leicht verkürzt. 342 Kilometer und 3.700 Höhenmeter an einem einzigen Renntag auf anspruchsvollen Gravel-Routen waren für mich eine bislang unerforschte Grenze des Möglichen.
So lange der Kopf will und die Knochen noch können, musst du los. Immer wieder. Diese kleinen Abenteuer sind Urlaub vom Alltag, eine Parallelwelt mit vollkommen anderen Anforderungen, sehr Basic, immer intensiv, ja selbstverständlich eine Form von Eskapismus, was denn sonst, aber positiv, pures Glück, immer. Sogar, wenn es in Strömen regnet.
Es reizt mich noch immer, die Grenzen zu verschieben, auch wenn ich mit fast 59 Jahren längst zu alt bin, um etwas gewinnen zu können. Gewinnen konnte ich auch in jüngeren Jahren nichts, es fehlte immer das Talent, die euphemistische Formulierung für mangelhafte Gene - seien es zu schwache Muskeln, nur durchschnittliche Sauerstoffaufnahmekapazität oder schlicht ein ungünstiges Kraft-Gewichts-Verhältnis, zu schwer, zu groß.
Sehr wahrscheinlich ist fehlendes Talent sogar ein Glücksfall, denn der Hochleistungssport ist war schon immer purer Druck, purer Verschleiß, erbarmungslos, auch was die Fallhöhen betrifft, solltest du es ins Rampenlicht der Medien geschafft haben und dann aus irgendwelche Gründen nicht konsequent abliefern. Daran ist mehr als ein Charakter zerbrochen, nicht nur im Radsport.
Wer mit 59 nicht verstanden hat, dass es ohnehin gar nie ums Gewinnen ging, hat zudem noch nicht viel verstanden vom Leben. Es geht ja ums Erlebnis, jenes intensive Gefühl wilder Lebendigkeit und Freiheit, das immer am stärksten ist an den Grenzen der eigenen Möglichkeiten.
Noch nie zuvor bin ich mehr als 300 Kilometer am Stück und an einem Tag mit dem Rad gefahren. Die größte Entfernung war bislang die ISTRIA300, ein Straßenrennen rund um die istrische Halbinsel. Auch davor hatte ich seinerzeit gehörigen Bammel und hatte beim ersten Versuch auf die volle Distanz verzichtet und auf 235 km „abgekürzt“ - ein charmanter Vorteil der ISTRIA300, dass die Entscheidung auf der Strecke möglich ist - zugleich aber ein mentaler Test, da die Verlockung sehr groß ist, sich dann doch nicht die vollen 300 Kilometer anzutun.
Damals war die Entscheidung richtig, die Bora blies von den Bergen, und bereits im ersten Drittel der Strecke war mir klar, dass ich bei diesen Bedingungen keine Chance hatte, innerhalb des Zeitlimits und bei Tageslicht ins Ziel zu kommen. Ein Jahr später habe die die 300 dann gewagt. Lächerliche zwölf Minuten fehlten mir damals, um es in die offizielle Wertung zu schaffen (OTC = Over The Counter) - was vor allem daran lag, dass ich weite Strecken alleine im Wind fahren musste, weil einfach zu wenige Fahrer auf dieser Distanz angetreten waren - und diejenige, die sich das zutrauten, alle längst auf und davon waren.
Girona - Game of Thrones und katalonische Radsport-Metropole
Über Girona ist schon so einiges gesagt worden. Nur nicht so gerne von den Einheimischen, die dort leben. Die würden, sofern sie nicht gerade vom Tourismus leben, häufig gerne verzichten auf die Besucherströme, die die Preise nach oben treiben für beinahe alles. Die Besucherströme nehmen überhand, sie beginnen zu nerven, das geht nicht nur den Katalonen im nahen Barcelona so. Girona war nicht immer ein Mekka des Radsports, das ist erst seit kurzer Zeit so.
Das Benediktinerkloster Sant Pere de Galligants stammt aus dem 10. Jahrhundert und beherbergt heute das Archäologische Museum Kataloniens. Die Ursprünge der Kathedrale reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück. Mit ihrem 22 Meter breiten gotischen Kirchenschiff ist sie eine der größten Kirchen der Welt. Die mittelalterliche Architektur und die verwinkelten Gassen der Altstadt boten zudem auch eine perfekte Kulisse für etliche Dreharbeiten, unter anderem wurden hier die Braavos-Szenen aus „Game of Thrones“ gedreht.
Das mediterrane Klima mit milden Temperaturen ermöglicht fast ganzjährig perfektes Training. Die abwechslungsreiche Landschaft rund um Girona eignet sich für Straßenradsportler, Triathleten, Mountainbiker – von schnellen flachen Ausfahrten auf Asphalt bis zu anspruchsvollen Anstiegen in den Pyrenäen bis 2.150 Meter ü.N.N. ist alles quasi vor der Haustür.
Der Boom begann mit Radsport-Stars wie Lance Armstrong, Tyler Hamilton und Floyd Landis, die sich in Girona auf wichtige Rennen vorbereiteten, sich erst Wohnungen vor Ort kauften und dann auch Radshops oder Cafes aufzumachen begannen. Weitere Investoren und Gründer folgten. Girona punktet mit perfekten Trainingsbedingungen, atemberaubender Landschaft und einer einzigartigen Atmosphäre. Auch Ironman-Star Jan Frodeno lebte während seiner aktiven Zeit eine Weile in Girona.
Die zahlungskräftige Radsport-Klientel sorgt zwar für regen Tourimus, volle Cafes und episch schöne Bike-Läden. Sie führt aber auch zu immer weiter steigenden Mieten, so dass sich einfache Leute zunehmend weniger eine Wohnung in der Altstadt leisten können. Und auch sonst für steigende Preise.
Fotos: Hartmut Ulrich
Erst Dürreperiode, dann Überschwemmungen
Auch die spanische Costa Brava bleibt nicht vom Klimawandel verschont. So litt Katalonien im Vorfeld des Rennens Anfang Mai 2024 unter der schlimmsten Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen. Trinkwasser musste per Schiff antransportiert werden, und wegen der extremen Trockenheit war der Wassernotstand ausgerufen worden. In 200 Dörfern und Städten war der Trinkwasserverbrauch begrenzt, Landwirte mussten die Bewässerung um 80 Prozent zurückfahren, Betriebe und Industrie um 25 Prozent. Stauseen, die normalerweise die Trinkwasserversorgung sichern, waren ausgetrocknet. Der Schaumweinhersteller Freixenet schickte bis zu 80 Prozent seiner Belegschaft in Kurzarbeit, weil die Ernte aufgrund der Dürre um fast die Hälfte zurückgegangen war.
Wenige Tage vor dem TRAKA begann es dann heftig zu regnen. Die Böden waren durch die lange Trockenheit steinhart, und in kürzester Zeit kam es überall zu großflächigen Überschwemmungen und Wasseransammlungen. Zwar konnte nun der Dürrenotstand aufgehoben werden – aber das TRAKA musste sich auf völlig veränderte Geländebedingungen einstellen. Weil die Überschwemmungen sich bis kurz vor Start der Langversion, des TRAKA 560, nicht verbessert hatten, mussten die Veranstalter das erste Rennen absagen (wegen der längeren Distanz sollte es einen Tag vor dem 360 starten). Zahlreiche Gravel-Stars der Szene, aus aller Welt angereist, mussten entweder auf die kürzere Version wechseln (das TRAKA 360) – oder wieder abreisen. Die Stimmung war am Boden.
Völlig ungewohnt für die mediterrane Region fand die Anmeldung dann auf dem aufgeweichten Campus in Schlamm und Kälte statt.
Fotos: Hartmut Ulrich
Das Gravelrennen über 342 Kilometer. An einem Tag, mit drei Verpflegungsstopps.
Ich also mit meinem etwas in die Jahre gekommenen aber immer noch exzellenten ROSE Cross CDX am Start. Das Gravelbike ist die Vorgängerversion des beliebten ROSE Backroad, ich habe es nachträglich mit der exzellenten Gravelschaltung SRAM XPLR-1x11 ausgestattet, mit leichten Carbon-Laufrädern von Aerycs und mit dem Gravelreifen Schwalbe G-One RS – der tubeless und in 40er Reifenbreite hervorragende Abrolleigenschaften bietet – er ist schnell auf glatten Untergründen und bietet ordentlichem Grip durch die ausgeprägten Schulterstollen.
Das TRAKA 360 war aufgrund der Überschwemmungen auf 342 Kilometer verkürzt worden, der Beginn führte weitgehend über Asphalt und begann entsprechend schnell. Ebenso schnell stellte sich aber heraus, dass sich zahlreiche der schönen Trails rund um Girona in fahrtechnisch anspruchsvolle Schlammgruben verwandelt hatten – etliche Stürze und langsames Vorankommen prägten diese Ausgabe des TRAKA. Das TRAKA spricht bewusst auch Teilnehmer von der Straße an, das Schwierigkeiten-Level soll allgemeintauglich bleiben. So sind stets eine Menge Teilnehmer dabei, denen es offenkundig an technischen Fähigkeiten fehlt.
Wer vorne mitfahren wollte, durfte sich ohnehin nicht in die teilweise Dutzende Fahrer umfassende Gruppen einbauen lassen, die sich an Schlüsselstellen wie Flussübergängen oder Gräben zusammenballten. Solche Ansammlungen von Fahrern gab es immer wieder bis ganz zum Schluss – nicht unbedingt ideal für eine gewertete Rennveranstaltung. Mir war’s egal, mein Ziel bestand darin, gemütlich meine Pace zu fahren und mit Anstand die 342 Kilometer ins Ziel zu bringen.
Mit insgesamt 3.700 Höhenmetern ist die 342 Kilometer lange Strecke nicht unbedingt ein Bergrennen – aber 3.700 Meter sind auch nicht nichts, ein paar Anstiege gab’s schon. Lustig, dass viele der Teilnehmer am einzigen nur wenige hundert Meter kurzen Stich zu fluchen begannen, der tatsächlich zu Fuß absolviert werden musste: sie seien zum Radfahren gekommen und nicht zum Wandern. Leute, wer je sowas gefahren ist wie das Atlas Mountain Race, bei dem zahlreiche Passagen so langsam werden, dass sie zu Fuß fast so schnell bzw. langsam sind wie auf dem Rad, der hat noch kein echtes Geländerennen absolviert. Das TRAKA kannst du zu 99 Prozent fahren – und zwar meistens ziemlich flott. Da gibt es nichts zu jammern.
Eine besondere Episode hatte ich nach etwa 180 Kilometern mit meinem Tracker: Ich hatte ihn direkt unter den Deckel meiner Cyclite-Oberrohrtasche gesteckt, um optimalen Satellitenkontakt zu gewährleisten. Der Deckel der zweigeteilten Tasche hatte mich sehr begeistert – in der Theorie eine hervorragend ausgeklügelte Lösung für blitzartigen und bequemen Zugriff – und dennoch sicher vor Nässe und Dreck. Theoretisch. In der Praxis sprang mir der Deckel bei einer rasanten Abfahrt durch die harten Schläge einfach auf und der Tracker flog in weitem Bogen davon.
Das habe ich erst bemerkt, als ich schon einige hundert Meter den Berg abwärts geschossen war, als mir von hinten überholende Teilnehmer zuriefen, ich hätte was verloren. Siedend heiß überkam es mich als ich merkte, dass die Oberrohrtasche offen stand und ich meinen Tracker verloren hatte: Ohne Tracker keine Wertung, kein Finish, keine Platzierung. Und die Kaution für den Tracker wäre auch verloren gewesen. Ich drehte augenblicklick um und begann am Rand der Piste den Berg raufzuschieben.
Zum Glück kam mir wenig später ein Fahrer entgegen – mit dem Tracker in der Hand am Lenker. Konnte mein Glück kaum fassen und setzte das Rennen fort – den Tracker hab ich dann in den hinteren Part der Tasche geschoben, der sich separat öffnen lässt und sicherer ist als der Deckel.
Das nächste Desaster kam beim zweiten Verpflegungsstopp (das TRAKA ist supported, es gibt wunderbare Feed-Zones in denen die schnellen Teams regelrechte Boxenstopps für ihre Fahrer durchführen – ich war hingegen allein und habe mich selbst verpflegt): Der Tracker war zwar noch da, blinkte aber nicht mehr. Offenbar war die Batterie leer. Mit meinem nicht vorhandenem Spanisch konnte ich schließlich den ausgefallenen Tracker gegen einen neuen tauschen und habe innerlich gefleht, dass der Wechsel auch richtig erfasst würde - keine Selbstverständlichkeit bei so großen und während des Rennens auch immer ein wenig chaotischen Veranstaltungen wie diesen.
Ich weiß bis heute nicht, ob der Wechsel richtig erfasst war, mein Strava zeigt einen durchaus seltsamen Bruch. Durch die Schlammpassagen und die Wasserdurchquerungen waren Schaltung und Kette ordentlich verdreckt und begannen zu quietschen. Zum Glück gab’s an den Feed-Zones Ölflaschen – bei so einem Eintagesrennen steckst du dir nicht unbedingt Öl ins Pannenwerkzeug.
„Welcome to the last climb“ hieß es irgendwann als es bereits dunkel wurde, ein 7.5 Kilometer langer Anstieg in die einbrechende Dunkelheit. Es wurde schnell kälter, und ich hielt an, um meine Beinlinge anzuziehen. Mehrere Gruppen zogen an mir vorbei – beim TRAKA ist Windschattenfahren erlaubt, und wer schnell sein will, muss sich eine gute Gruppe suchen und dranbleiben. Innerhalb von wenigen Minuten verlor ich 50 oder 60 Plätze – und hatte überhaupt keine Lust mehr, die Lücke wieder zuzufahren. Die 300 Kilometer waren da bereits überschritten.
Kurz vor dem Ziel wechselten die schnellen Feldwege noch einmal in eine echte Querfeldein-Passage mit schmalen hoch zugewachsenen Trails und wegen der Nässe fahrtechnisch anspruchsvollen Passagen. Mentale Prüfung ganz zum Schluss. Es wollte einfach kein Ende nehmen.
Schließlich rollte ich gegen ein Uhr nach Mitternacht über die Ziellinie. Ich war es zufrieden, hatte ich durch die diversen Intermezzos einiges an Zeit liegen lassen. Immerhin keine technische Panne. Ich stoppte meinen Garmin Edge – meine längste am Stück gefahrene Strecke auf Strava. Platz 48 in meiner Altersgruppe (wen interessiert schon Platz 48 in der Altersgruppe Ü55 - aber es ist durchaus ein gutes Gefühl, immer noch zu den besten 5-20 Prozent unter Gleichaltrigen zu sein, je nach Streckencharakter).
Solche Rennen machst du nicht für die Platzierung. Sondern fürs Erlebnis. Für dich. Forever.
Epilog
Am Tag nach dem Rennen ließ sich die Kurbel meines Gravelbikes nicht mehr drehen. Festgetrocknet. Der Schlamm aus dem Rennen war ins Trelager eingedrungen und jetzt ging nichts mehr. Allerdings hatte das Tretlager auch schon sieben Jahre treue Dienste geleistet - ich war damit jahrelang an der Isar entlang zur Arbeit gependelt, im Sommer wie im Winter, bei Regen, Matsch und Schnee. Und ich reinige mein Rad mit einem Hochdruckreiniger - was den Lagern natürlich auch mehr zusetzt als nötig, dafür allerdings den ganzen Dreck von Kette und Schaltung entfernt - und eine Schaltgruppe kostet deutlich mehr als ein neues Tretlager. Eine beachtliche Laufleistung jedenfalls für ein billiges Pressfit-Innenlager. Ich habe es umgehend durch ein neues ersetzt, und jetzt läuft das Bike besser als jemals zuvor. Immerhin ist die Radpflege und die Schrauberei ein integraler Teil des Radsports: Es macht genauso viel Freude wie das Fahren selbst.
Fotos: The TRAKA official photographers, Hartmut Ulrich