3x "Goschn poliern" im unvergleichlichen Istrien
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich 300 Kilometer in einem Straßen-Radrennen gefahren. 300 Kilometer an einem Tag und fast 5.400 Höhenmeter, darunter Segmente, die auf Strava „Hell in Croatia“ heißen oder „DANGER!!!!! Go fucking slow and don’t die“. Dieses geradezu masochistische Verlassen der eigenen Komfortzone hat sich absurderweise gelohnt: Ich wurde reich beschenkt mit einem unvergleichlich intensiven Erlebnis. Und mit unvergesslichem Muskelkater. Direkt danach schwörst du, so etwas definitiv nicht noch einmal haben zu müssen. Und ein paar Tage später planst du bereits die neue Saison.
Fotos: FinisherPix, Pedal Performance Group
Hier nur Kurzprotokoll: Der Ex-Weltmeister im Skibergsteigen, Toni Palzer, der 2020 zudem einen epischen Trailrunning-Rekord bei der Watzmann-Überschreitung aufgestellt hat (der mich bis heute fassungslos macht), und der seit 2021 Radprofi bei Red Bull Bora hansgrohe ist, dieser Toni Palzer hat den Spruch vom "Goschn poliern" geprägt. Passt überall da, wo auch immer es darum geht, sich einmal so richtig selber eine einzuschenken.
Oiso: Supergeiler Tag beim Radrennen in Istrien, Glück mit dem Wetter, allerdings wieder ordentlich Wind, die Strecke (dieses dritte Jahr „nur“ die Mitteldistanz über 209 Kilometer) ist von Charakter und Landschaft über jeden Zweifel erhaben. Istrien ist einfach supergeil zum Rennradfahren. Kein Sturz, keine Pannen, Rennen super. Ächz.
Einziger Wermutstropfen: Nachdem mich 2022 mein WAHOO Elemnt mitten auf der 300er-Strecke hängen ließ, war es diesmal mein nicht gerade preiswerter Garmin Edge 840, der sich nach 110 km einfach aufhängte und auf gar nix mehr reagierte, kein Tastendruck, kein Reset, nix. Drei Stunden später hat er sich‘s dann überlegt und da weitergemacht, wo er aufhörte. Immerhin.
Hatte mir unter acht Stunden als Ziel gesetzt: done! (07:32:39, Platz 273 von 947, keine Altersklassen, Oida!).
Alles Weitere zur Istria in den deutlich längeren Ausarbeitungen von 2021 und 2022. Die sind ja auch im
RennRad-Magazin erschienen...
Fotos: Fotos: Sportshot, Pedal Performance Group
Die Bremsen meines ROSE X-Lite Six schreien auf, ich schieße mit 60 km/h den Hügel hinunter ins kroatische Städtchen Pazin. Obwohl ich genau weiß, dass jetzt der Knotenpunkt kommt und damit die Entscheidung zwischen 235 und 300 Kilometern Distanz, bin ich doch überrascht. Der abgesperrte Kreisel ist unübersichtlich, ich habe nur wenige Sekundenbruchteile, um richtig abzubiegen. Ich schieße nach rechts weg, folge der schwarzen Route. Und bin allein.
Zum ersten Mal in meinem Leben fahre ich 300 Kilometer in einem Radrennen. 300 Kilometer an einem Tag und fast 5.400 Höhenmeter, darunter Segmente, die auf Strava „Hell in Croatia“ heißen oder „DANGER!!!!! Go fucking slow and don’t die“. Die ISTRIA300 eignen sich perfekt für so ein Experiment, weil du auf der Strecke selbst entscheidest, ob du „nur“ bei 155 Kilometern bleibst, die Mitteldistanz über 235 wählst oder die volle Dröhnung über 300 Kilometer. Ich habe mir Minimum-Durchgangszeiten aufs Oberrohr geklebt, um nach Gefühl und Beinen entscheiden zu können. Am zweiten Verpflegungspunkt nach 141 Kilometern bin ich eine gute Stunde schneller als mein notiertes Minimum. „Auf geht’s“, peitsche ich mich an, „du willst es, du kannst es, trau dich!“
Die 235er-Distanz kenne ich bereits, die bin ich 2021 bei Premierenveranstaltung der ISTRIA300 gefahren. Die Bora (der lokale kroatische Fallwind, vergleichbar mit dem französischen Mistral) blies so gemein von den Bergen, dass mir bereits bei den ersten Durchgangszeiten klar wurde, dass es keinen Sinn hatte, die 300 in Erwägung zu ziehen. Ich war dann trotz des Winds am Nachmittag relativ entspannt als 51. der Gesamtwertung im Ziel.
Dieses Jahr will ich es wissen. Die reine Distanz ist nicht das Problem. Ich habe rund 8.000 Kilometer in den Beinen und immerhin 80.000 Höhenmeter. Aber bei 300 Kilometern in Kombination mit knapp 5.400 Höhenmetern und dem Zeitlimit wird mir übel. Nach zwölf Stunden ist Schicht, ich muss also einen 25er Schnitt hinbekommen. Ich fahre eine Kompakturbel mit ovalen Kettenblättern von Absolute Black und einer max. Übersetzung von 1:1 bzw. 34:34. Das gibt mir Reserven. Mit 187 cm Körpergröße bei 78 kg und einer FTP von 260 bin ich am Berg aber allenfalls Mittelmaß. Hinzu kommt, dass meine VO2max mit 48,3 zwar immer noch weit über meinem Altersdurchschnitt liegt. Mit 57 Jahren reiche ich aber bei weitem nicht mehr an die Werte junger Fahrer heran. Altersgruppen gibt es nicht, das Zeitlimit gilt für alle.
ISTRIA300, das ist auch im zweiten Jahr seines Bestehens ein hervorragend organisiertes Radrennen mit Start im mediterranen Hafenstädtchen Poreč, das auch Anfang Oktober noch mit spätsommerlichen Temperaturen lockt. Ein Heer von Freiwilligen sorgt für abgesperrte Straßen und macht den Ritt durch das landschaftlich atemberaubende auf und ab der istrischen Halbinsel zu einem unvergesslichen Erlebnis. Bereits im zweiten Jahr ihres Bestehens war die Veranstaltung ausverkauft (die Anmeldung für 2023 läuft bereits; noch gibt es Startplätze).
Obwohl das Feld bis zum Knotenpunkt zwischen 235 und 300 Kilometern bereits schon sehr zerpflückt ist, gab es die ersten 140 Kilometer stets genug Gruppen, denen ich mich anschließen konnte, um nicht alleine im Wind arbeiten zu müssen. 680 von 1.234 Teilnehmern (davon 11,1 % Frauen) entscheiden sich für die „kurze“ Variante und 155 Kilometer, die sind längst weg. 302 Teilnehmer wählen die Mitteldistanz über 235, der Rest wagt sich an die volle Distanz über 300 Kilometer und die „Hell in Croatia“. Zu wenig, um passende Gruppen in meiner Pace zu finden. Die brauchst du aber, musst zusammenarbeiten, Stops abgesprochen haben. Ich werde sehr lange alleine fahren - zu lange. Bei Kilometer 170 fahre ich auf einen anderen Solisten auf, fordere ihn zur Mitarbeit auf. Am nächsten Anstieg fällt er zurück. Ich bin wieder allein.
Zu allem Überfluss hat mein WAHOO Elemnt Bolt (das ich ansonsten sehr schätze) Schwierigkeiten mit den GPX-Daten. Erst setzt es mitten in der Route eine Zielflagge und stellt danach einfach das Routing ein. Ich versuche, während der Fahrt die Route neu zu laden – Fehlermeldung: „zu viele Daten“! Dadurch fehlen in der Aufzeichnung auf Strava nicht nur rund 20 km und 500 Höhenmeter, ich habe auch kein Routing mehr und biege trotz guter Beschilderung prompt zweimal falsch ab. Wieder ein paar Minuten verloren. Vor allem: Bei längeren Distanzen zähle ich die Kilometer runter. Der Trick besteht darin, sich die Gesamtstrecke in lauter kleine Häppchen zu zerlegen: Nur noch drei Kilometer, dann bist du über den Berg. Noch 25 Kilometer bis zum nächsten Verpflegungspunkt und so weiter. Das ist nun alles weg - ganz schlecht für den Kopf.
Um es kurz zu machen: Das Zeitlimit von 12 Stunden habe ich verpasst. Um lächerliche 13 Minuten. Bei einer durchschnittlichen Leistung von 171 Watt, was eigentlich ganz respektabel ist über zwölf Stunden – aber halt nicht reichte. Bei etwas über 12 Minuten Standzeit für drei Verpflegungsstopps. Der Gewinner, der Ex-Radprofi Hans-Jörg Leopold aus Österreich, brauchte 08:47:46 für die 300 Kilometer, ein beeindruckendes Stundenmittel von 34,1 km/h. Meine Pace betrug im Ziel 24,7 km/h, die Gesamtzeit 12:13:37. „OTL“ heißt das im Rennjargon, „over the limit“ und ist, weil du das Rennen im Ziel beendet hast, nicht ganz so frustrierend wie „DNF“, did not finish. Aber es wurmt halt. Wo zur Hölle habe ich nur die entscheidenden Minuten liegen gelassen? Über 60 (!) Aspiranten sind dieses Jahr am Ende aus der Wertung geflogen, 180 haben es geschafft, darunter sechs Frauen.
Auf Strava hat sich ein Mitfahrer in den Kommentaren bedankt: „Vielen Dank für die Führungsarbeit. Wäre sonst vom Besenwagen eingesammelt worden.“ Was willst du eigentlich mehr.
Fotos: Sportograf
Letztes Wochenende einen Abstecher nach Kroatien gemacht: Papi quält sich beim Radrennen, Familie genießt ein spätsommerliches Wochenende an der Mittelmeerküste. 19 Grad immerhin noch, volle Sonne. Papi: Istria300 am Samstag dem 9. Oktober 2021. Nach dem vergeigten Corona-Shit und dann der Absage in 2020 dieses Jahr nun Premiere für die "neue" Istrien-Rundfahrt. Die Landschaft der istrischen Halbinsel ist supertoll, mit Start im schönen Küstenstädtchen Poreč, ein paar Kilometer südlich von Novigrad. Perfekt organisiertes Radrennen, alle Straßen gesperrt, tolles Event zum Abschluss der Radsaison (für mich, hmhm, das einzige Rennen dieses Jahr). Jedenfalls MUSSTE ich da hin - nachdem ich beim Münsterland Giro die Woche zuvor gekniffen hatte: Die Aussicht, das Wochenende für ein Radrennen auf nassen Straßen im kalten Regen viele Stunden unterwegs zu verbringen, fand ich nur so mittel verlockend.
Bei der Detailplanung für die Istria300 ging mir dann aber doch die Düse. Nicht wegen der puren Distanz, sondern wegen der Zeitlimits auf der Strecke und des Cutoffs am Schluss: Du musst mindestens einen 25er-Schnitt aufs Parkett legen, um auf 300 Kilometern unter zwölf Stunden zu bleiben. An sich kein Thema - aber nicht mit 5.300 Höhenmetern. Da hast du im Vorfeld dann schon ein paar schlaflose Nächte: Soll ich das echt machen, ey? Und wenn die Beine nicht gut sind? Alter, du hast dieses Jahr kaum mit Plan trainiert (5k), vor allem viel zu wenige Höhenmeter (35k), gemütlich an der Isar zur Arbeit pendeln reicht vielleicht nicht so ganz. Das angeknackste Mittelfußgelenk vom Abflug mit dem MTB im August zickt auch immer noch, biste bekloppt? Essen und Verpflegungspausen? Was ist, wenn du nach 150 Kilometer in den Hungerast fährst? Wie hart sind die Anstiege tatsächlich, du bist doch sonst eher kacke am Berg, übermütig geworden oder was? Wahrscheinlich explodierst du nach nicht mal 2.000 Höhenmetern, dann kannste dich vom kroatischen Besenwagen aufkehren lassen. Findest du eine Gruppe, mit der du mitfahren kannst oder kannst du bei den ganzen Cracks da am Start nirgendwo am Hinterrad bleiben? Nichts ist frustrierender als ein DNF in der Tabelle (did not finish). Habe mich dann mit der Aussicht getröstet, dass die Veranstalter "Notausstiege" für 155 und 235 Kilometer auf der Strecke ausgeschildert hatten, für alle, die zu hart am Limit segeln würden.
Segeln ist dann auch genau das richtige Stichwort: So einen Wind habe ich noch nicht vorher erlebt, bei einem Radrennen! Der Wind hat das ganze Spiel verändert. Distanz egal, Höhenmeter egal - Wind nicht egal. Ganz im Gegenteil. Die Bora, wie der kalte Fallwind aus Nordosten hier heißt, ist die kroatische Variante des Mistral. Kalt, brutal, moralzermürbend, von Anfang an, ein richtiger Scheißwind. In der ersten Hälfte der Runde konstant mit Windgeschwindigkeiten von 28-30 km/h von vorn, dann von der Seite, in Böen teilweise mit 60, 70 km/h, volle Kalotte. Noch nie habe ich ein ganzes Feld so schräg im Wind stehen sehen wie an diesem Wochenende. So einen Scheißwind kenne ich eigentlich nur von Hochtouren oberhalb von 4.000 Metern. Die Bora: Wieder was gelernt, auf die harte Tour.
Als der Split kam und die Entscheidung, ob 300 oder 235, habe ich jedenfalls keine Sekunde gezögert. Das Feld war eh schon vollkommen zerrissen, Amateure fahren eben nicht organisiert und taktisch, da fährt irgendwie jeder für sich, was hintenraus natürlich maximal dämlich ist. Als geschlossenes Peloton wären alle zusammen schneller. Und weniger kaputt. Kaum noch möglich, eine gute Gruppe zu finden. Ohnehin taugt das Geländeprofil in Istrien nicht für taktische Lutscher: Es geht entweder rauf - oder runter, und zwar richtig. Steil, hart, technisch. Entspannt vor sich hinpennen ist nicht. Du musst permanent selbst arbeiten, voll konzentriert fahren, die Straßen voller Risse, Rillen und Löcher. Die Bremsen fangen an zu quietschen, Beläge leider verglast, juhuu!
Obwohl nach Aussagen des Veranstalters 60 Prozent der 735 Starter die 300 Kilometer in Angriff zu nehmen gedachten (ich auch), waren es am Ende nur 122, die es tatsächlich durchzogen. 336 Teilnehmer entschieden sich auf der Strecke für die halb so lange Variante von 155 Kilometern, 173 für die Mitteldistanz von 235 Kilometern (ich auch). 78 Starter kamen gar nicht an: Aus der Wertung geflogen, Zeitlimit überschritten, aufgegeben. Für eine Wettbewerbspremiere ist das ne beachtliche DNF-Quote: Das Motto "Ride your Limits" wurde sichtbar.
Bei mir standen an der Ziellinie nicht 235 Kilometer auf dem Radcomputer, sondern 222,8. Und nicht 3.600 Höhenmeter, sondern 3.988. Vielleicht hat mein WAHOO Elemnt ja ein bisschen falsch gemessen. Aber ob 3.600 oder knapp 4.000 Höhenmeter: Ich finde, das reicht für einen Tag, ohne beschämt im Boden versinken zu müssen als alter Sack. Mit einem Schnitt von 27,8 Stundenkilometern (die sechs Minuten Standzeit an drei Verpflegungspunkten eingerechnet war es ein Schnitt von 26,6 km/h) und Platz 51 von 173 Teilnehmern auf der Mitteldistanz über alle Altersklassen. Mist, die Pace hätte ja doch recht locker für die 300 gereicht! Hätte hätte Fahrradkette - hinterher ist man immer schlauer. Es wäre sogar noch ein bisschen mehr drin gewesen - aber bei einem 300er-Ziel ballerst du am Anfang natürlich nicht gleich mit dem Messer zwischen den Zähnen los, sondern teilst dir das ein bisschen ein. Vollgas erst, wenn die gröbsten Anstiege hinter dir liegen - und Flasche noch nicht leer.
Genau: Man muss ein Stück weit bekloppt sein, um sich das freiwillig anzutun. Es gibt aber auch nur wenige Erlebnisse im Leben, die derart intensiv sind. Außer in den Alpen natürlich. Ob ich aber je wieder so ein Rennen mit so einem Wind fahren will, muss ich mir noch gut überlegen. Obwohl, das ist gelogen: Natürlich will ich. Ich weiß jetzt ja, was mich erwartet (hallo Bora!). So ist das mit dem Radsport: Kaum bist du im Ziel, sind die Schmerzen vergessen, und du denkst auch schon ans kommende Jahr. Wahrscheinlich hört das niemals auf. Und wisst ihr was: Genau das ist es, was das Leben lebenswert macht.
hollereiduliöh