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Rundflug über München mit dem Wellblechvogel

Alte Tante Ju

Die Junkers Ju-52, liebevoll auch "Tante Ju" genannt, spielte nach dem zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle in der Geschichte der Lufthansa. Ihr Aluminium-Wellblech sorgte für hohe Robustheit, die gutmütigen Flugeigenschaften machten es zu einem zuverlässigen Fluggerät für die Verkehrsfliegerei.
Die D-AQUI, mit der wir 2001 und 2002 über München flogen, ist seit 2019 stillgelegt. Sie war die letzte flugfähige Junkers Ju-52.

Wenn du schon länger in München lebst, dann kanntest du diesen unverkennbaren sonoren Sound der drei Sternkolbenmotoren: Meistens im September konnte man über München schon von Weitem das Hämmern der Motoren hören, und wenig später tauchte die Silhouette des silbernen Wellblechvogels tief über den Dächern schwebend auf. Durch den Doppler-Effekt wirkte der Sound der sich entfernenden Motoren noch etwas gemächlicher - beinahe wie der meditative Herzschlag eines sehr alten Tiers. Nicht ganz 5.000 Maschinen wurden in den 1930er und 40er Jahren von der Ju52 gebaut, von denen bis 2018 noch zwei Exemplare flugfähig waren - eins in der Schweiz und das, mit dem wir fliegen würden.


Lufthansa-Piloten hatte die alte Tante 1984 in Ecuador entdeckt, zurück nach Deutschland verfrachtet, in liebevoller Detailarbeit restauriert, mit moderner Avionik ausgestattet und boten ab 1986 unter dem Kennzeichen D-AQUI Rundflüge mit der Maschine an, unter anderem über München. Ausgehend vom Münchner Flughafen im Hallbergmoos, über den Starnberger See bis zum Alpenrand und wieder zurück über die Stadt. Die Piloten waren Berufspiloten der Lufthansa, die die Junkers-Rundflüge in ihrer Freizeit durchführten.


2001 bekam ich von meinen Freunden einen solchen Rundflug zum Geburtstag geschenkt. Ich hatte noch nie einen Flug über München gemacht und wohnte doch schon über zehn Jahre in der Stadt. Noch nicht einmal auf dem Fernsehturm im Olymiapark war ich gewesen, von wo man ebenfalls einen flugähnlichen Rundumblick über München genießt - zu voll, zu touristisch, kein bevorzugtes Ziel. Es ist wie immer: Wo du selber lebst, kennen Besucher von weit weg die Attraktionen meist besser als du selbst. Weil du es ja jederzeit machen könntest (es dann aber einfach nicht tust) - und lieber andere Ziele ins Auge fasst als die touristischen Mainstream-Highlights.


Der Termin für den Rundflug stand schon lange fest - die wenigen Plätze des 16-Sitzers waren sehr gefragt und immer lange im voraus ausgebucht. Nur das Wetter spielte im August 2001 nicht mit. Dichte tief hänge Wolken und Regenschauer verdarben uns die Vorfreude. Wir kamen trotzdem zum Flughafen, versammelten uns auf dem Flugfeld um die alte Wellbechkiste, wo der Pilot dann verkündete, dass es lediglich für eine kleine Platzrunde reichen würde - man sähe weder etwas von den Bergen noch von der Stadt, einfach zu neblig. Wir würden den gebuchten Rundflug aber nachholen. Ein Jahr später. Mit dem Fliegen ist es wie mit den Bergen: Wenn das Wetter mit im Spiel ist, brauchst du die Gelassenheit eines Buddha und solltest dich immer auf mehrere Anläufe einstellen. Es half nichts.


Ein Jahr später war das Wetter besser. Gleiche Prozedur, nur dass es diesmal richtig losging, bis zum Alpenrand. Wer die Beschleungigung großer Verkehrsflugzeuge gewöhnt ist, wundert sich, wie wenig Grundgeschwindigkeit die alte Wellblechtante brauchte, um abzuheben. Im Inneren hattest du den Eindruck, die drei Sternmotoren seien noch gar nicht richtig auf Drehzahl, da schwebte das Ding schon gemächlich vom Rollfeld. Ich bin sie im Simulator geflogen - die Gemütlichkeit in Wellblech. Wie alte Tanten eben so sind, mochte sie aber überhaupt keine abrupten Manöver. Beim Landeanflug musste man sehr auf die richtige Geschwindigkeit achten, denn die Junkers reagierte durchaus kritisch auf einen Strömungsabriss und sackte dann abrupt weg ("Stall"). Wir flogen hinaus über den Starnberger See - aber nicht über die Alpen. Drehten dann um und einige ausführliche Runden über München, dem Olymipapark und um die Frauenkirche.


2018 kam es in den Schweizer Alpen im Kanton Graubünden zum tragischen Absturz der Schweizer Ju-52 mit dem Kennzeichen HB-HOT. Alle Insassen kamen dabei ums Leben. Die Maschine war zu einem Ausflug vom Heimatflughafen Dübendorf nach Locarno aufgebrochen, die 16+1 Plätze ausgebucht. Am Freitagvormittag des 3. August 2018 landete die Maschine planmäßig in Locarno, um am 4. August wieder in die Schweiz zurückzufliegen. Kurz vor 17 Uhr verloren die Piloten die Kontrolle über die Maschine. Im Unfallbericht sprachen die Behörden von eklatantem Fehlverhalten: "Die Flugbesatzung führte das Flugzeug hochriskant, indem sie es in geringer Höhe und ohne Möglichkeit für einen alternativen Flugweg in ein enges Tal steuerte“.


Ebenfalls im August 2018 musste die D-AQUI ihren Flugbetrieb vorzeitig einstellen, nachdem bei der Wartung Strukturmängel festgestellt worden waren, die eine zu aufwändige Überarbeitung erfordert hätten. Die Maschine hatte zu diesem Zeitpunkt rund 21.000 Flugstunden im Wellblech. 2019 wurde sie endgültig stillgelegt und steht seitdem im Museum.


Schlussbemerkung: Meine Freude an diesem alten Fluggerät hat genau nichts damit zu tun, dass die Ju-52 auch im Zweiten Weltkrieg als Transportflugzeug und Truppentransporter eingesetzt wurde. Sondern allein an meiner kindlichen Freude am fantastischen Sound der Kolbenmotoren und an dem fliegenden Dinosaurier aus Aluminiumblech. Jede Verherrlichung der Zeit liegt mir fern. Für mich sind die Rundflüge in der Ju-52 schlicht ein Stück persönlich erlebte Luftfahrtgeschichte und ein großartiges Geschenk gewesen - nicht mehr, nicht weniger.

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